
Nur noch bis 25. Februar läuft in der Frankfurter Schirn die Ausstellung „Glanz und Elend in der Weimarer Republik„. Wer es noch irgendwie schaffen kann, sollte sich diese Schau dringend ansehen – denn so viel Denkanstoß gibt’s nicht oft im Museum. (Wer es nicht schafft: Die Schirn hat einmal mehr ein umfassendes Digitorial ins Netz gestellt, das die inhaltlichen Aussagen der Ausstellung komplett abbildet und eine grundlegende Auswahl der Bilder zeigt.)
Die Ausstellung zeigt fast 200 Werke, die zwischen den beiden Weltkriegen, also von 1918 bis 1933, in Deutschland entstanden sind: überwiegend sozialkritische Gemälde von Max Beckmann, George Grosz, Otto Dix, Georg Scholz, Christian Schad; von Lotte Laserstein, Jeanne Mammen, Dodo, Elfriede Lohse-Wächtler und deren Zeitgenossen; insgesamt sind 62 Künstlerinnen und Künstler vertreten. Kuratorin Ingrid Pfeiffer hat Wert darauf gelegt, auch den Malerinnen Platz einzuräumen – nicht nur als Künstlerinnen, sondern auch als Protagonistinnen ihrer Epoche; dem Typus der „Neuen Frau“ ist ein eigenes Ausstellungskapitel gewidmet. „Etwa ein Drittel der gezeigten Werke stammt von Künstlerinnen“, schreibt Schirn-Direktor Philipp Demandt im Vorwort des Ausstellungskatalogs.
Die große Leistung der Schirn-Schau liegt darin, die gezeigten Kunstwerke in die gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge ihrer Entstehungszeit einzuordnen – und die Bilder als Spiegel einer der faszinierendsten Epochen der jüngeren deutschen Geschichte lesbar zu machen.
„Im Fokus der Ausstellung steht das große „Unbehagen der Epoche“, das sich sowohl in dem breiten stilistischen Spektrum als auch in den Themen und Inhalten spiegelt“ (Ingrid Pfeifer, Kuratorin der Ausstellung)
Kaum ein Bereich des Alltags, den die Maler nicht abbildeten
Kaum ein Bereich des Alltags, den die Maler nicht abbildeten und damit kommentierten: Die Porträts der Neuen Sachlichkeit zeigen den Menschen nicht mehr als Krone der Schöpfung, sondern nur mehr als Beiwerk neben den technischen Errungenschaften der Moderne. Straßenszenen, Industriegebäude, übervolle Städte und gesichtslose Menschenmassen; sogar die Sportbegeisterung jener Zeit wird sichtbar (und gedeutet als Reaktion auf den und Folge des Militarismus der Kaiserzeit – Kräfte werden nun im Sport gemessen, nicht mehr im Schützengraben; zugleich ist die körperliche Ertüchtigung ideale Vorbereitung für militärischen Drill); außerdem Dirnen und Bettler neben It-Girls und schwerreichen Industriellen: Die Weimarer Republik war wahrlich eine Zeit von Glanz und Elend, ein Nebeneinander der Extreme.
Die Zeichen ihrer Zeit gedeutet
Wie bald die Künstler und Literaten ahnten, dass dieses Gemisch explodieren würde – wie früh sie die Zeichen ihrer Zeit zu deuten wussten! Die Ausstellung zeigt das zum Beispiel anhand der Titelblätter, die George Grosz schon 1923 für die Zeitschrift Die Pleite gezeichnet hat: Hitler als Siegfried, der Deutschland übernehmen möchte; das Hakenkreuz baumelt am Weihnachtsbaum.
Die Schau spinnt aber auch einen feinen Faden in die Gegenwart, denn natürlich erinnert diese Weimarer Republik an vielen Stellen an unsere eigene Zeit: Agitatoren und Parolenrufer sind auf den Bildern von damals ebenso wie in den Newsfeeds von heute zu sehen; Dekadenz auf der einen Seite, eine klaffende Schere zwischen Arm und Reich auf der anderen – unweigerlich erkennt der Betrachter die Parallelen zum Heute. Größter Unterschied vielleicht: Eine hungerleidende breite Masse wie damals nach dem ersten Weltkrieg gibt’s heute nicht. Aber die Parolen, die werden trotzdem wieder gegrölt.
Sehr empfehlenswerter Katalog
Der sehr empfehlenswerte Katalog zur Ausstellung ist bei Hirmer erschienen und bietet mehr als einen guten Ersatz für die Schau. Versammelt sind dort nicht nur die ausgestellten Werke, sondern auch ergänzende Bilder und Fotos; außerdem eine ausführliche Zeittafel, Künstlerbiografien und die Begleittexte, die in der Schirn zu lesen sind. Dazu kommen neun ergänzende Fachartikel, die das Gezeigte fundiert untermauern und das Bild der Epoche rund machen. So schreibt zum Beispiel Olaf Peters über „Verismus bei Otto Dix und George Grosz – Kunst und Politik der Neuen Sachlichkeit“, Karoline Hille über den „Paragraph 2018 und die Sache der Frau“ oder Martina Weinland über Kunst und Literatur in der Weimarer Zeit.
Ingrid Pfeiffer (Hg.): „Glanz und Elend in der Weimarer Republik“, Hirmer 2017, 300 Seiten, 49,90 Euro
P.S. Für Aschaffenburger bieten die Ausstellung und ihr Katalog noch einen besonderen Reiz, den beide verweisen auf ein großes Ereignis, das noch in diesem Jahr ansteht: Der Maler Christian Schad hat in Aschaffenburg gelebt – und derzeit entsteht in seiner alten Heimat ein Christian-Schad-Museum, das Ende 2018 im Gebäude der ehemaligen Fachoberschule in der Pfaffengasse eröffnen soll. Gezeigt werden sollen in dem neuen Museum Werke aus Schads Nachlass, der 3200 Werke umfasst und den inzwischen die Aschaffenburger Christian-Schad-Stiftung verwaltet.